Symbol der Eisenbahn: das Flügelrad

Foto Sven Bracke

Sven Bracke
Kustos Schienenverkehr
Kustos Schifffahrt

Der griechische Götterbote Hermes lief allem davon, was in der europäischen Sagen- und Götterwelt an anderen Wesen über den Erdkreis wandelten. Er war der Inbegriff von Geschwindigkeit, wurde aber auch als Schutzgott der Reisenden, der Kaufleute und der Hirten verehrt, genau wie als Gott der Diebe und der Magie, um nur einige Aspekte zu nennen. Er verkündete zudem die Beschlüsse der Götter an die Menschen und geleitete die Seelen der Verstorbenen in den Hades, die griechische Unterwelt.

Hermes Figur an der „Alten Post“ in Flensburg
Hermes Figur an der „Alten Post“ in Flensburg.¹

Dargestellt wurde er zumeist mit Flügeln an seinem Helm und/oder seinen Schuhen, die ihm die große Geschwindigkeit verliehen.

In der römischen Mythologie wurde aus Hermes Merkur, die zugesprochenen Eigenschaften blieben ihm erhalten, ebenso die Symbolik.

In Europa existierten die Mythen- und Göttergestalten der Antike in Kunst, Literatur und mündlicher Tradierung durch das Mittelalter und die Frühe Neuzeit hindurch fort. Auch die geflügelten Schuhe und der Helm wurden als Symbole verwendet.  Im 18. Jahrhundert tauchten sie dann im Kontext des Postwesens auf. Generell war die Symbolik allerdings nur wenig vertreten.

Die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert erschütterte die gesamte Gesellschaftsstruktur Europas bis ins Mark und veränderte Produktions- und Lebensverhältnisse wie kaum etwas zuvor (mit Ausnahme vielleicht der Pestwellen des 14. Jahrhunderts). In jener Zeit gelangte das antike Symbol für überragende Geschwindigkeit wieder ins Bewusstsein der breiten Masse der Bevölkerung: Erstmals fanden sich die Flügel des Götterboten bereits 1835 auf einer Gedenkmünze für die erste Eisenbahn in Deutschland, der Ludwigs-Bahn von Nürnberg nach Fürth.2 1840 wurde das Flügelrad auf den Uniformen der München-Augsburger Eisenbahn verwendet. Und zum 30. November 1853 wurde es in Preußen offizielles Symbol der Eisenbahn.

In Sachsen tauchte das Symbol 1841 bei der Leipzig-Dresdner Eisenbahn auf und wurde als Abzeichen auf den Uniformmützen oberhalb der Kokarde getragen.

Kragenabzeichen der Großherzoglich Badischen Staatseisenbahnen
Kragenabzeichen der Großherzoglich Badischen Staatseisenbahnen.³

Zahlreiche private Eisenbahngesellschaften verwendeten das Symbol ebenso wie die Eisenbahnverwaltungen der Länderbahnen im Deutschen Bund und späteren Deutschen Reich. Einige von Ihnen, u.a. Sachsen und Bayern, trugen das gekrönte Flügelrad als Zeichen der königlichen Würde und höheren Autorität der Eisenbahnen.

Auch in anderen europäischen Ländern wie Spanien, Frankreich oder Italien war das Flügelrad ein Symbol der Eisenbahn. Auffallend gering ist Verwendung des Symbols aber im Mutterland der Eisenbahn, in England. Hier wurden hauptsächlich wappenartige Logos genutzt.

Das Flügelrad fand sich nicht nur auf Uniformen, sondern auch auf unzähligen Drucksachen, wie z.B. Dienstvorschriften und Vordrucken. Die Kursbücher des Deutschen Reichs tragen das Symbol interessanterweise nicht, hier sind das Reichswappen bzw. später der Reichsadler als Hoheitszeichen aufgedruckt.

blaue Fahne des Eisenbahnvereins Arnstadt mit goldenen Stickerein
Fahne des Eisenbahnvereins Arnstadt.

Die zahlreichen Eisenbahnvereine, die einen Teil des sozialen Gefüges der „Eisenbahnerfamilie“ bildeten, verwendeten die Symbolik auch auf ihren Vereinsfahnen, die bei Vereinsfesten und Paraden präsentiert wurden.

Stilisierter Kragenspiegel eines Triebwagenführers mit Schaffner- oder Zugdienst der Deutschen Reichsbahn Gesellschaft
Stilisierter Kragenspiegel eines Triebwagenführers mit Schaffner- oder Zugdienst der Deutschen Reichsbahn Gesellschaft.⁴

Bei der Deutschen Reichsbahngesellschaft (1924 - 1937) „schmückte“ das Flügelrad die Uniformmütze. Laut Dienstkleidungsordnung vom 9. Mai 1924 war es oberhalb des Mützenbandes und oberhalb des Landeskokarde zu tragen, es stand also quasi oberhalb von allem anderen. Auch die Kragenspiegel von Angestellten im Zugdienst oder Triebwagenführern zeigten in verschiedenen Ausführungen das Flügelrad.

Spartenabzeichen der Deutschen Reichsbahn nach Dienstkleidungsordnung von 1937
Spartenabzeichen der Deutschen Reichsbahn nach Dienstkleidungsordnung von 1937.⁵

Auch nach der erneuten Umbenennung und Umfirmierung zur Deutschen Reichsbahn 1937 blieb das Flügelrad erhalten. Die Spartenabzeichen des Zugdienstes und der Triebwagenführer behielten das Flügelrad in doppelter bzw. einfacher Ausführung. Das Flügelrad an der Mütze wurde durch den Reichsadler ersetzt, der in seinen Klauen einen Ährenkranz mit Hakenkreuz hielt. Dies hatte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Bestand, auch wenn es zahlreiche Variationen bei den Uniformen, für die im Zweiten Weltkrieg besetzen Gebiete gab.

Uniformkäppi für weibliche Bedienstete im Aufsichtsdienst der Deutschen Reichsbahn
Uniformkäppi für weibliche Bedienstete im Aufsichtsdienst der Deutschen Reichsbahn, um 1980.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten die Deutsche Reichsbahn und nach 1949 die Deutsche Bundesbahn in der Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Reichsbahn in der Deutschen Demokratischen Republik weiterhin auf das Symbol des Flügelrades auf Kragenspiegeln, Dienstmützen und Schriftstücken. Winter- und Sommermützen trugen oberhalb der Kokarde das Flügelrad in unterschiedlichen Ausführungen.

Kragenspiegel mit dem einfachen Flügelrad waren allgegenwärtig. Bei der Deutschen Bundesbahn wurde von 1951 bis 1971 das Symbol auch als Aufnäher auf dem Ärmel getragen.

Bis zur Fusion der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn am 1. Januar 1994 blieb das Symbol des Flügelrades allgegenwärtig. Die neu gegründete Deutsche Bahn AG machte einen bewussten Bruch mit der Vergangenheit und schaffte das Symbol ab.

Erhalten geblieben ist das Flügelrad als DAS Symbol für die Eisenbahn. Die Männer und Frauen, die es trugen, haben die mobile Welt, die wir heute als selbstverständlich annehmen, ermöglicht und mittlerweile mehr als 180 Jahre Eisenbahngeschichte in Deutschland geprägt.


  1. Quelle: CC BY-SA 3.0 (Soenke Rahn)
  2. Diese Münze ist ein sog. Geschichtstaler für die Strecke von Nürnberg nach Fürth, die Ende des Jahres 1835 geprägt wurde. Zu sehen ist eine liegende Frauengestalt, mit einer den Vorstellungen von der Antike entsprechenden Gewandung und Frisur. In der rechten Hand hält sie den Merkurstab und stützt sich mit dem linken Arm auf das Flügelrad.
  3. Quelle: Jürgen Hartmann und Klaus Thiede: Das Kleid des Eisenbahners. Bruchhausen-Vilsen 2003, Tafel 5, Seite 65.
  4. Quelle: ebd., Seite 359.
  5. Quelle: ebd., Seite 401
  6. Quelle: ebd., Seite 470.
  7. Quelle: ebd., Seite 476.

Autor:in

Foto Sven Bracke

Sven Bracke

Ich studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte und Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Nach meinem Volontariat in den Museen im Kulturzentrum Rendsburg (Schleswig-Holstein) arbeite ich seit 2011 als Kustos Schienenverkehr und Schifffahrt im Verkehrsmuseum Dresden. Mein Forschungsschwerpunkt liegt auf den sozialen Aspekten der Mobilitätsgeschichte.

1 Kommentar

J.N. |

0 Antworten

Naja, die die Bahn besinnt sich ja gerade wieder auf ihre Geschichte, vielleicht entdecken sie das Flügelrad dann neu ..... Tradition kann man nicht einfach abschaffen.

Was ist die Summe aus 2 und 1?

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