Das Gespensterauto von Hellerau (2/3) - Herausforderungen meistern

Foto Maria Niklaus

Maria Niklaus
Kustodin Straßenverkehr
Kustodin Luftfahrt

Bis 3. Juli 2023 zeigten wir im Verkehrsmuseum einen Trabant P601 L, Bj. 1988, den der Dresdner Chemiker Dr. Dieter Schulze zu einem Elektroauto umgebaut hat. Schon Ende der 1960er Jahre hatte er in einen Trabi einen Elektromotor eingebaut. Weil das Fahrzeug damit lautlos unterwegs war, wurde es das „Gespensterauto von Hellerau“ genannt. Dieses frühe Beispiel für individuelle Elektromobilität in der DDR nehme ich zum Anlass, einen genaueren Blick auf die frühe Elektromobilität im Allgemeinen und die Elektroautos des Dieter Schulzes im Besonderen zu werfen.

Antrag von Dr. Schulze für eine Aufbaugenehmigung eines Elektro-Pkws am 15.01.1968 an den Rat der Stadt Dresden, Abteilung Wasserwirtschaft und Verkehr.
Antrag von Dr. Schulze für eine Aufbaugenehmigung eines Elektro-Pkws am 15.01.1968 an den Rat der Stadt Dresden, Abteilung Wasserwirtschaft und Verkehr.

Die erste Hürde: Das erlangen einer Aufbaugenehmigung

Dieter Schulze beantragte beim Rat der Stadt Dresden, Abt. Wasserwirtschaft und Verkehr am 15.01.1968 eine Aufbaugenehmigung für einen elektrisch angetriebenen PKW. Herr Schulze ist zu diesem Zeitpunkt schon der Meinung, dass „der elektrische PKW-Antrieb gegenüber dem Verbrennungsmotor im Nahverkehr gewichtige Vorteile hat“. Er führt hier u.a. folgende Aspekte auf:

  • „geräuscharmer Lauf,
  • einfache Bedienung und Wartung,
  • geringere Materialverschleiß,
  • keine Motorabgase und
  • niedrige Betriebskosten.“

Diese Argumente finden sich schon in den 1910er Jahren und sind auch heute noch gültig. Zudem argumentierte er mit dem oben genannten ökonomischen Punkt:

„Der internationalen Entwicklung auf diesem Gebiet zufolge sind wir sicher, daß Versuche zum elektrischen PKW-Antrieb über unseren privaten Kreis hinaus auch volkswirtschaftliches Interesse verdienen . Deshalb hofft unser Arbeitskollektiv auf unterstützendes Interesse und Zusammenarbeit mit dem entsprechenden Stellen der Industrie und Staatsorgane.“

In späteren ausführlichen Messreihen dokumentierte Dr. Schulze diesen Aspekt seines Elektro-Trabants. Er war ca. 50 % schneller als mit der Straßenbahn unterwegs und bezahlt ca. 2,20 Mark pro 100 km.

Rückseite des Aufbau-Antrags mit Vermerk auf ein privates Treffen und der mündlichen Zusage zum Bau eines Elektrofahrzeugs sowie ein eventueller Bau von 10 Versuchsfahrzeugen.
Rückseite des Aufbau-Antrags mit Vermerk auf ein privates Treffen und der mündlichen Zusage zum Bau eines Elektrofahrzeugs sowie ein eventueller Bau von 10 Versuchsfahrzeugen.

Daraufhin kam es wohl zu einigen persönlichen Treffen zwischen den beteiligten Personen. Eines dieser Treffen, vom 01.04.1968, ist dokumentiert die mündliche Zusage für eine Aufbaugenehmigung des BDK (Bezirksdirektion Kraftverkehr) sowie die Idee, eventuell gleich zehn Versuchsfahrzeuge zu bauen.

Anschreiben zur Aufbaugenehmigung mit explizitem Hinweis darauf, dass einmal diese Genehmigung für den Aufbau eines Elektro-Autos nur zugestimmt wurde, weil „das Vorhaben […] von volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten her zu begrüßen ist.“ Weiterhin wird d
Anschreiben zur Aufbaugenehmigung mit explizitem Hinweis darauf, dass einmal diese Genehmigung für den Aufbau eines Elektro-Autos nur zugestimmt wurde, weil „das Vorhaben […] von volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten her zu begrüßen ist.“ Weiterhin wird deutlich gemacht, dass in das Fahrzeug nachträglich kein „Verbrennungsmotor“ eingebaut werden darf.

So viele wurden es dann nicht. Aber Dieter Schulze erhielt ca. 3 ½ Monate (am 23.04.1968) später unter der Nr. 0057/39/68 immerhin die Aufbaugenehmigung für ein elektrisches Fahrzeug auf Trabant 600 oder 601 Limousine. Im Anschreiben wird deutlich, welche Hürden in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik überwunden werden mussten. Die Behörde befürchtete, die Elektrifizierung eines PKWs sei nur ein Vorwand Dr. Schulzes, beschleunigt an ein Fahrzeug zu gelangen, um dann später wieder einen Verbrennungsmotor einzubauen. Bei Wartezeiten von zum Teil zehn Jahren für einen eigenen Pkw durchaus keine unbegründete Sorge. Dr. Schulzes ökonomische Argumentation im Sinne der „Volkswirtschaft“ scheint daher durchaus ein ausschlaggebender Punkt gewesen zu sein, den Antrag zu bewilligen.

Aufbaugenehmigung als elektrisches Versuchsfahrzeug vom 23.04.1968
Aufbaugenehmigung als elektrisches Versuchsfahrzeug vom 23.04.1968
Rückseite der Aufbaugenehmigung mit den Auflagen zum Aufbau eines Elektro-Autos
Rückseite der Aufbaugenehmigung mit den Auflagen zum Aufbau eines Elektro-Autos

Die nächsten Hürden: Zulassung und Technik

Der Elektro-Trabant wurde schließlich zwei Jahre später, am 15.01.1970, zugelassen und fuhr geräuschlos für 22 Jahre durch Dresden. Hierbei nutzte Dieter Schulze zwei Elektromotoren aus ehemaligen Postfahrzeugen (Gleichstrommotoren mit jeweils 1,8 kW Nennleistung). Damit erreichte der erste Elektro-Trabant eine Geschwindigkeit von ca. 40-50 km/h sowie eine Reichweite von ca. 35-40 km. Neben dem Elektromotor von der Deutschen Post nutzte Herr Schulze Bleibatterien, die er vom VEB Akkumulatoren- und Elementefabrik aus Berlin-Oberschönweide bekam. Normalerweise stellten diese u.a. Batterien für Gabelstapler her. Zudem schloss er mit dem Hersteller eine Nutzungsvereinbarung, sodass er diese Batterien umsonst erhielt. Im Gegenzug führte er ausführliche Messprotokolle der Ladevorgänge und stellte diese wiederum dem VEB zur Verfügung, der so einen Einblick in sein Produkt unter praktischen Bedingungen erhielt. Als promovierten Chemiker fiel dies Dr. Schulze nicht schwer. Es sind minutiöse Messreihen erhalten geblieben.

Da die Reichweite nicht ganz ausreichte, um von seinem Wohnort Hellerau zur Arbeitsstelle (Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List“) und zurückzupendeln, erhielt Dr. Schulze eine Genehmigung zum Strom-Tanken an der HfV. Für das zweite Halbjahr 1971 z
Da die Reichweite nicht ganz ausreichte, um von seinem Wohnort Hellerau zur Arbeitsstelle (Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List“) und zurückzupendeln, erhielt Dr. Schulze eine Genehmigung zum Strom-Tanken an der HfV. Für das zweite Halbjahr 1971 zahlte er 8,16 Mark.

Nächste Herausforderung: Steuer und Reichweite

Mit dem erfolgreichen Aufbau waren allerdings noch nicht alle Herausforderungen gemeistert, wie der Vermerk auf dem Antrag für eine Aufbaugenehmigung von 1968 schon zeigte. Die damalige Behörde wusste nämlich gar nicht, wie sie dieses Versuchsfahrzeug zu besteuern hatte. Als Grundlage der Berechnung diente daher einfach die Motorleistung eines normalen Zweitakt-Trabants. Somit wurde der volle Steuer-Preis angesetzt, was der Erbauer nicht hinnehmen wollte. Nach extensivem Briefwechsel mit den Behörden wurde die Steuerlast um die Hälfte gesenkt.

Alltäglich fuhr Dr. Schulze jeden Tag von Hellerau zur Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List“. Die Reichweite seines Elektroautos reichte allerdings nicht ganz für die Hin- und Rückfahrt. Eine Infrastruktur für Elektrofahrzeuge, wie sie heute aufgebaut wird, fehlte vollständig. Glücklicherweise durfte er nach Absprache mit seiner Arbeitsstelle dort auch laden, im zweiten Halbjahr 1971 für ganze 8,16 Mark.

Öffentliche Rezeption in Dresden und der DDR

Und wie nahmen die Dresdnerinnen und Dresdner dieses Auto wahr? Im normalen Stadtverkehr fiel der Elektro-Trabant erst einmal gar nicht auf, da er quasi im Verkehr „mitschwamm“. Das wurde u.a. einem Polizisten zum Verhängnis, der das Fahrzeug für eine Kontrolle anhielt. Wie Walburga Schulze, die Witwe Dieter Schulzes 2023 erzählt, bemängelte die Polizei, dass die Schmutzfänger fehlten. Daraufhin hätte Herr Schulze wohl geantwortet: „Ach so, ich dachte Sie halten mich an, weil mein Auspuff fehlt.“ Bald war der Elektro-Trabant vor allem auch bei Nachbarn und Freunden bekannt. Es schieden sich die Geister an den Vor- und Nachteilen des Fahrzeugs. Dies zeigte sich auch deutlich an dem Spitznamen, den die Nachbarskinder dem Trabant gaben:  das „Gespensterauto von Hellerau“. Denn anders als die gewöhnlichen knatternden Zweitakter war der Trabant geisterhaft geräusch- und geruchslos unterwegs.

Mitte der 1970er Jahre wurde das Fahrzeug auch überregional bekannter, da die Presse ihm einige Artikel widmete. So schrieb z.B. die Zeitschrift Jugend und Technik in ihren Ausgaben im Dezember 1973 und Januar 1974 vom „Trabant ohne Auspuff“. Auch das Verkehrsmuseum war von Anfang an mit dabei: Herr Schulze stellte seinen Elektro-Trabant Mitte der 1970er Jahre bei einem Urania-Vortrag im Johanneum der Öffentlichkeit vor, wie z.B. die Sächsischen Neuen Nachrichten berichteten.

Überblick zur Presserezeption Mitte der 1970er Jahre. Schon einmal war ein Elektro-Trabant von Dr. Schulze im Verkehrsmuseum ausgestellt, da er sein erstes Fahrzeug im Rahmen eines URANIA-Vortrages im Johanneum präsentierte.
Überblick zur Presserezeption Mitte der 1970er Jahre. Schon einmal war ein Elektro-Trabant von Dr. Schulze im Verkehrsmuseum ausgestellt, da er sein erstes Fahrzeug im Rahmen eines URANIA-Vortrages im Johanneum präsentierte.

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Foto Maria Niklaus

Maria Niklaus

Ich bin seit September 2022 Kustodin für Luftfahrt und Straßenverkehr. Bevor ich das Team des Verkehrsmuseums Dresden verstärkte, war ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart tätig. Zu meinen Projekten zählten dort u.a. die Erforschung einer technischen Sammlung sowie diverse Lehrveranstaltungen und Ausstellungen. Ich habe Technikgeschichte und Maschinenbau in Stuttgart, Berlin und Toronto studiert. Wenn ich in meiner Freizeit nicht gerade an meiner Dissertation zu den Hintergründen von Kreiselinstrumenten in der Luft- und Raumfahrttechnik forsche, fliege ich am liebsten mit historischen Segelflugzeugen.

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