Das Rätsel der Schüttoff (2/3) - Detektivarbeit im Verkehrsmuseum

Foto Maria Niklaus

Maria Niklaus
Kustodin Straßenverkehr
Kustodin Luftfahrt

Die erste Anlaufstation nach erfolgreicher Ankunft im Museum ist für jedes Exponat die Werkstatt. Nicht weil die Objekte alle kaputt oder beschädigt wären, sondern weil sie unser Restaurator erst einmal konservatorisch in Augenschein nimmt. Zusammen mit dem/der zuständigen Kustoden:in wird über das weitere Vorgehen entschieden. Die eingegangene Schüttoff wurde im aufgefundenen Zustand belassen.

Das Typenschild der Schüttoff auf dem Rahmen der Maschine, direkt am Sattel
Abb. 1: Das Typenschild der Schüttoff auf dem Rahmen der Maschine, direkt am Sattel.

Des Weiteren wird nun inhaltlich recherchiert, einmal mit Hilfe der vom Schenker erhaltenen Dokumente, aber auch mit Büchern aus der umfangreichen Bibliothek und Unterlagen aus der museumseigenen verkehrsgeschichtlichen Dokumentensammlung. Der intensive Blick auf das Motorrad selbst mit seinen Typenschildern (Abb. 1) und Details darf natürlich auch nicht fehlen.

Nach einer genauen Inspektion der Maschine und der Dokumente, hier z.B. das Handbuch (Abb. 2 und 3), kann nun die große Frage, welche Schüttoff wir genau haben, geklärt werden. Eben durch Quellen- und Literaturrecherche sowie über Hinweise am und den Abgleich mit dem originalen Motorrad wurde schnell klar, dass es sich um den „F“-Typ, die Sportversion der Schüttoff handelt.

Blick auf das originale rote „Handbuch für die Schüttoff-Motorräder“
Abb. 2: Blick auf das originale „Handbuch für die Schüttoff-Motorräder“, das zusammen mit dem Exponat an das Museum kam.
Abbildung des Sportmodells der Schüttoff im Handbuch
Abb 3: Vergleich der Details mit der Abbildung des Sportmodells im oben gezeigten Handbuch, S. 12.
Details der Schüttoff, inkl. der Kühlrippen am Auspuffstutzen, der kopfgesteuerten F-Version und der Motornummer
Abb. 4: Details der Schüttoff, inkl. der Kühlrippen am Auspuffstutzen, der kopfgesteuerten F-Version und der Motornummer

Anhand verschiedener Merkmale ist sie leicht von der Touringversion, Type „E“, zu unterscheiden. Der Motor ist zwar der gleiche, ein 344ccm luftgekühlter Einzylinder-Viertakt Motor (hier mit der Motor-Nr. 4530), die Steuerung und die Anordnung der Ventile sind aber verschieden. Die oben liegende Ventilsteuerung bei der F-Version ist hier deutlich im kreuzförmigen Aufsatz oben auf dem Zylinder an unserem Exponat zu erkennen (Abb. 4). Zum anderen fällt auf, dass der Auspuffstutzen, hier aus Aluminium, auch Kühlrippen besitzt, ein weiteres Indiz dafür, dass es sich hier um eine Sportversion handelt.

Details der Schüttoff, inkl. des anders eingebauten Öltanks sowie der elektrischen Zündung aus der Nachkriegszeit
Abb. 5: Details der Schüttoff, inkl. des anders eingebauten Öltanks sowie der elektrischen Zündung aus der Nachkriegszeit.

Weitere technische Details sind u.a. ein kurzer Radstand und ein Dreigang-Getriebe. Diese Straßenmotorräder wurden ab 1925 mit nur leichten Modifikationen erfolgreich im Rennsport eingesetzt und fuhren bis 1928 siegreich in der Klasse bis 350ccm. Darüber hinaus hat auch der vorherige Besitzer seine „Handschrift“ hinterlassen und z.B. den kleinen Öltank andersherum eingebaut und eine elektrische Zündung angebracht (Abb. 5). Dies macht die hier vorgestellte Schüttoff einmalig und erzählt eben Ihre „Fahrt“ durch die letzten Jahrzehnte.

Die "Schüttoff Motorradbau A.G." war eine von vielen Motorradherstellern in Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts. Arthur Schüttoff (1882-1946), der Gründer der Firma, arbeitete nach seinem Ingenieurstudium in Zwickau u.a. bei dem Fahrzeughersteller Wanderer, bevor er mit seinem Teilhaber (Bässler) 1909 die erste Firma in Chemnitz gründete, damals noch für Fräsmaschinen und Drehbänke. Nach dem 1. Weltkrieg trennten sich die Geschäftspartner und Schüttoff erweiterte sein Portfolio: Die ersten Motorräder kamen 1922 auf den Markt, das Modell „A“ lief dabei mit einem 246ccm Einzylinder Blockmotor. Diese Motorrad-Reihe setzt er in den 1920er Jahren bis zur „K“-Version fort. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise wurde die Firma 1930 übernommen, Motorräder unter dem Namen Schüttoff waren allerdings noch bis 1932 bei Rasmussen, dessen Namen man natürlich in Verbindung mit Zschopau und DKW kennt, erhältlich. Unser F-Typ ist, wie bereits im ersten Beitrag erwähnt, Baujahr 1930¹. Dies war auch das letzte Jahr der Produktion für die F-Version der Schüttoff.

Wer fuhr aber nun genau dieses Modell? Wo kam sie her? Die gut erhaltenen Dokumente, die zusammen mit der Schüttoff in das Museum kamen, geben über diese und andere Fragen teilweise Aufschluss. Mit ihnen können wir das „Leben“ der Schüttoff und ihrer Besitzer in den letzten 92 Jahren nachverfolgen. Unter ihrem ersten Fahrer, ein Zimmerer aus der Nähe von Dresden, erhielt sie 1937 ihr erstes amtliches Kennzeichen, II-35954, wie aus dem Kraftfahrzeugbrief hervorgeht (Abb. 6 und 7). Wie kann das sein? Wir hatten doch oben erwähnt, dass die Maschine schon sieben Jahre vorher gebaut wurde! Die Antwort: Erst in den 1930er Jahre, auch im Zuge des NS-Herrschaftssystems, wurde eine Dokumentation für Fahrzeuge eingeführt. Das Schicksal der Schüttoff während des Zweiten Weltkriegs ist leider nicht überliefert. Sie wird jedoch am 14. Februar 1948 von ihrem ersten Besitzer stillgelegt, was im Registrierschein ersichtlich ist (Abb. 8). Erst 1972 taucht sie in den Unterlagen wieder auf:  Am 7. Mai kauft sie unser Schenker für 150,00 Mark Ost (bei einem durchschnittlichen Einkommen eines DDR-Bürgers 1970 von ca. 750,00 Mark DDR) (Abb. 9). Der bisherige Besitzer war nicht nur ein langjähriger Nachbar, sondern auch der Ehemann der Cousine des neuen Käufers.

Die Schüttoff kam genau im richtigen Moment zu uns. Denn wir zeigen sie in unserer Jubiläumsausstellung „70 Jahre Verkehrsmuseum Dresden“.

Was denkt Ihr? Ist die Schüttoff in der Ausstellung das „alte“ oder „neue“ Exponat? Sie ist ja immerhin älter als das Museum selbst. Nachdem sie aber erst vor kurzem in unsere Sammlung eingegangen ist, steht die Schüttoff stellvertretend für das „jüngste“ Objekt des Museums und kann noch bis zum 8. Januar im Lichthof des Museums bewundert werden.

Was geschieht mit der Schüttoff, nachdem wir jetzt einiges über sie wissen und Ihre tolle Hintergrundgeschichte so weit wie möglich rekonstruiert haben? Dazu folgt ein weiterer Blogpost.


  1. Vielen Dank an die Schüttoff-Experten, die uns kontaktiert haben und auf einige Details hingewiesen haben, die darauf deuten, dass unsere Maschinen vermutlich aus dem Jahr 1928 stammt und somit noch älter als der Schenker der Maschine ist. Hinweise bieten hier u.a. die Reifen und die Lampe der Maschine. Wenn Ihr zu Besuch seid, vergleicht doch die Schüttoff einmal mit der neben stehenden BMW R62, die auch von 1928 ist.

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Foto Maria Niklaus

Maria Niklaus

Ich bin seit September 2022 Kustodin für Luftfahrt und Straßenverkehr. Bevor ich das Team des Verkehrsmuseums Dresden verstärkte, war ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart tätig. Zu meinen Projekten zählten dort u.a. die Erforschung einer technischen Sammlung sowie diverse Lehrveranstaltungen und Ausstellungen. Ich habe Technikgeschichte und Maschinenbau in Stuttgart, Berlin und Toronto studiert. Wenn ich in meiner Freizeit nicht gerade an meiner Dissertation zu den Hintergründen von Kreiselinstrumenten in der Luft- und Raumfahrttechnik forsche, fliege ich am liebsten mit historischen Segelflugzeugen.

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